Jugendarbeit neu denken – und handeln

Bericht von Tanja Bosch
Schwäbische Zeitung Kreis Biberach 25.11.2015

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Oberessendorf – Der Fachtag zum Modellprojekt „Zukunft Jugendarbeit im ländlichen Raum“ ist ein voller Erfolg gewesen. Die Kreisjugendringe Biberach und Ravensburg hatten am vergangenen Freitag einen ganztägigen Fachtag in Oberessendorf veranstaltet. Dieser sollte ein Schlusspunkt sein für das große Gemeinschaftsprojekt, das bereits im Oktober 2013 begann. Ziel für den Landkreis Biberach ist es, die Ergebnisse Vertretern von Politik und Verwaltung vorzulegen und ein passendes Konzept zu entwickeln. Denn in einem sind sich alle Beteiligten einig: Jugendarbeit braucht Strukturen, aber auch Veränderungen, und darf vor allem im ländlichen Raum nicht vernachlässigt werden.
Nach zwei kurzen Vorträgen, einem zur aktuellen Datenlage in der Jugendarbeit beider Landkreise und einem zur wissenschaftlichen Auswertung des Projekts mit Zitaten von Bürgermeistern, ging es in die Workshop-Phase. Fünf Gruppen arbeiteten an unterschiedlichen Themen. „Der Tag war einfach genial“, sagt Andreas Heinzel, Vorsitzender des Kreisjugendrings Biberach. „Die Ergebnisse sind genau so, wie wir uns das erhofft haben. Vor allem waren so viele Leute da, die in der Jugendarbeit tätig sind, und die konnten sich direkt mit Offiziellen von Jugendämtern und Kommunen austauschen.“ Die Zusammenarbeit mit dem Kreisjugendring Ravensburg sei auch deshalb so wichtig gewesen, weil Impulse von anderen Landkreisen viel wert sind: „Die Ravensburger sind da in manchen Punkten schon weiter als wir, aber sie haben auch andere Strukturen.“
Abschließend gab es noch eine Podiumsdiskussion mit Jürgen Dorn, Geschäftsführer des Landesjugendrings, Konrad Gutemann, Jugendamtsleiter in Ravensburg, Edith Klüttig, Jugendamtsleiterin in Biberach, Alexander Keim, Obermeister der Bäckerinnung Biberach, Bettina Pfluger vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) und Frank Högerle, Hauptamtsleiter der Gemeine Argenbühl. Johannes Riedel moderierte die Diskussion.
Wenn es um die Kooperation zwischen Schule und Jugendarbeit geht, gibt es auf jeden Fall noch Nachholbedarf. „Das ist ein ganz schwieriges Feld“, sagt Konrad Gutemann. „Die außerschulische Bildung ist nur ein kleiner Tanker gegenüber der schulischen Bildung.“ Die Zahlen sprechen laut Jürgen Dorn für sich: „Wir haben 80 000 Stellen für Lehrer, denen 60 Bildungsreferentenstellen gegenüberstehen.“ Die Jugendarbeit würde einfach eine viel geringere Rolle spielen als das Schulsystem. „Dabei ist Alltagsbildung so wertvoll“, sagt Dorn. Und die werde vom Staat leider nicht ausreichend finanziert. Für Edith Klüttig ist es wichtig, Schnittstellen zu schaffen und in die Schulen zu gehen: „Vereine und die offene Jugendarbeit sollen sich dort präsentieren können.“
Ein wichtiger Punkt war auch die Wertschätzung der ehrenamtlichen Tätigkeit. Aber nicht nur das, man müsse das Ehrenamt auch attraktiv gestalten, um weiterhin Freiwillige zu gewinnen. „Denn die Zeiten haben sich geändert, die Menschen brauchen einen Anreiz“, sagt Andreas Heinzel. Seine Arbeitsgruppe wünscht sich mehr Vergünstigungen in verschiedenen Bereichen und mehr Verständnis für Freistellungen bei Arbeitgebern. Das sieht Alexander Keim, selbst Chef, etwas kritisch: „Es wird viel gefordert von den Arbeitgebern.“ Aber auch er weiß, was es bedeutet, ehrenamtlich zu arbeiten, „und natürlich bringt das Jugendliche in ihrem Leben weiter“. Für Edith Klüttig ist die Struktur entscheidend: „Da muss sich etwas ändern. Viele denken, sie verpflichten sich auf ewig. Es sollte aber auch eine kurzzeitige ehrenamtliche Tätigkeit möglich sein.“
Zum Thema, wie Strukturen gemeinsam entwickelt werden können, ist laut dem Geschäftsführer des Kreisjugendrings Ravensburg, Joachim Sautter, das wesentliche Element ein zentraler Ansprechpartner. „Das setzt allerdings politischen Willen voraus“, sagt Sautter. „Da muss der Bürgermeister schon mitziehen.“ Denn im Bereich Jugendarbeit würde keiner gerne Geld in die Hand nehmen, „daran muss sich etwas ändern“. Denn eine Kommune würde natürlich von einer guten Jugendarbeit profitieren, ist sich Konrad Gutemann sicher: „Das ist ein Gewinn für jede Gemeinde, so wird der Ort attraktiv für Familien.“ Und das seien am Ende die Gemeinden, die „leben“.
In Argenbühl im Landkreis Ravensburg gibt es diese Strukturen bereits, aufgrund der Teilnahme am Projekt als Modellgemeinde. Es gibt einen hauptamtlichen Koordinator und einen ehrenamtlichen Beirat: „Wir haben das ins Leben gerufen“, sagt Hauptamtsleiter Frank Högerle. „Der Beirat macht die Jugendarbeit erst sichtbar, es ist ein Gewinn für unsere Gemeinde und es funktioniert.“
Des Weiteren soll Jugendarbeit für alle da sein, deshalb ist es wichtig, vielfältige Angebote zu schaffen. „Die individuellen Bedarfe der Jugendlichen müssen gestillt werden, dafür brauchen sie aber auch Räume und Freiräume“, sagt Gutemann. „Sie brauchen einen Ort, ein Jugendhaus, wo sie sich treffen können.“ Das müsse allerdings schnell gehen, sagt Klüttig. „Denn wenn die Räume erst gesucht und ein Jugendhaus erst gebaut werden muss, dann sind die Jugendlichen schon beim Studieren.“ Für Dorn ist es wichtig, bei diesem Thema ganz sensibel vorzugehen. „Man muss auch die erreichen, die man zuerst gar nicht wahrnimmt“, sagt der Geschäftsführer des Landesjugendrings. „Ganz aktuell denke ich dabei auch an junge Geflüchtete, das wird noch mal eine neue große Herausforderung.“
Beim Workshop zum Thema Beteiligung ging es um die neuen Formen von Beteiligung. Wie erreicht man Kinder und Jugendliche? Für Dorn ist das Thema entscheidend: „Die Jugendlichen müssen konkret wissen, woran sie sich beteiligen sollen. Nur dann können sie da auch Energie hineinstecken.“ Auch die Kommunikation spiele dabei eine wichtige Rolle. In Argenbühl läuft die Kommunikation unter anderem über das Amtsblatt. „Das war der Wunsch“, sagt Högerle. Er halte aber eine App oder WhatsApp-Gruppe zusätzlich für sinnvoll. Doch so etwas koste in der Begleitung Zeit und Geld und könnte vielleicht ein Projekt sein, das die jeweiligen Landratsämter in Angriff nehmen könnten.
Jetzt soll es an die konkrete Umsetzung der Ergebnisse in den Landkreisen gehen. Wie diese dann im Einzelnen aussieht, ist der jeweiligen Ausgestaltung der beiden Landkreise überlassen, da das gemeinsame Projekt am 31. Dezember endet.


Die Zu­kunft der Ju­gend­ar­beit

(Schwäbische Zeitung BC 26.6.15)
Projekt des Kreisjugendrings ist wichtig für die Fortschreibung der Jugendhilfeplanung

 
Von Tanja Bosch

Biberach – Das Projekt „Zukunft Jugendarbeit im ländlichen Raum“ hat nach gut zweieinhalb Jahren seinen Höhepunkt erreicht und soll Ende des Jahres abgeschlossen sein. Über den aktuellen Stand berichtete Andreas Heinzel, Vorsitzender des Kreisjugendrings Biberach, in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Im Mittelpunkt der Präsentation standen die Ergebnisse einer Onlinebefragung der Vereine im Kreis. Diese Befragung ist aber nur ein Baustein des dreijährigen Projekts, das dem Landkreis als Fortschreibung der Jugendhilfeplanung dienen soll.

Anfang 2013 starteten die Kreisjugendringe Biberach und Ravensburg in Kooperation mit den Jugendämtern beider Landkreise mit dem Projekt „Zukunft Jugendarbeit im ländlichen Raum“, das der Kommunalverband Jugend und Soziales und die Jugendstiftung Baden-Württemberg fördern. Ziel des Projekts ist es, Entwicklungsprozesse zur Stärkung und Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendarbeit zu initiieren und zu begleiten. Am Ende sollen die Erkenntnisse anderen Kommunen als Vorbild dienen.

Vier Modellgemeinden im Kreis

„Wir erarbeiten Strukturen, die auf kleine, mittlere und große Gemeinden angewendet werden können, um die Jugendarbeit im ländlichen Raum zu erhalten und weiter auszubauen“, sagt Heinzel. „Der demografische Wandel kommt auf uns zu, wir stehen vor vielen Veränderungen und Herausforderungen.“ Dabei spielen unter anderem der Ausbau von Ganztagsschulen, die Vielfalt von Jugendkulturen, Migration und Integration, politische Beteiligung und ehrenamtliches Engagement eine wichtige Rolle.

Vier Gemeinden im Kreis Biberach wurden 2013 als Modellgemeinden ausgewählt: Achstetten, Bad Schussenried, Ochsenhausen und Warthausen haben sich am Projekt beteiligt. Startschuss in jedem Ort war immer die sogenannte Zukunftswerkstatt (SZ berichtete). Dort haben Jugendliche, Eltern und viele andere Interessierte in Workshops Ideen zusammengetragen. Diese sollen nun teilweise umgesetzt und in den verschiedenen Gemeinderäten vorgestellt werden.

455 Teilnehmer bei Befragung

Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Onlinebefragung der Vereine, die von Ende Mai bis Ende August 2014 von Ehrenamtlichen und Aktiven im ganzen Landkreis ausgefüllt werden konnte. Dort standen unter anderem Fragen zur aktuellen Situation im Verein in Bezug auf die Mitgliederzahlen, wie ehrenamtliches Engagement weiterhin attraktiv bleiben kann, welche Auswirkungen die schulische Landschaft auf das Ehrenamt hat oder auch welche Erfolgsfaktoren eine gute Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendarbeit hat, im Fokus.

„Die Onlinebefragung war sehr erfolgreich, es haben viele engagierte Leute mitgemacht“, sagt Andreas Heinzel. „Wir haben jetzt etwa acht Seiten mit Ideen und Vorschlägen nur aus den offenen Fragestellungen zusammen.“ Insgesamt sind beim Kreisjugendring 455 komplett ausgefüllte Fragebögen eingegangen. „Das ist echt eine Menge, wenn man bedenkt, dass das Ausfüllen des Fragebogens fast eine dreiviertel Stunde dauerte.“ Stark beteiligt haben sich mit knapp 40 Prozent die 18- bis 27-Jährigen. Interessant ist dabei auch, dass 40 Prozent aller Teilnehmer aus dem Bereich der Musikvereine kommen. Sportvereine und kirchliche Jugendarbeit liegen jeweils bei knapp 20 Prozent.

Als Gründe für die Abnahme von Mitgliederzahlen sehen die Teilnehmer der Umfrage vier große Bereiche: es gibt weniger Bereitschaft zu einer verbindlichen Teilnahme, die hohe schulische Beanspruchung, eine Übersättigung durch passive Alternativangebote wie beispielsweise Medien oder auch sinkendes Interesse an einer Vereinsmitgliedschaft. „Dabei stellt sich die Frage, wie wir hier gegensteuern können“, sagt Heinzel und warnt: „Die Lage in diesem Bereich könnte sich natürlich auch aufgrund des demografischen Wandels verschärfen.“

Auch ein wichtiger Punkt sei die fehlende Anerkennung der ehrenamtlichen Tätigkeit: mehr als 77 Prozent der Teilnehmer wünschen sich Ermäßigungen bei Eintritten und Einkäufen, 76 Prozent stimmen einer Steuerermäßigung zu und 73 Prozent würden sich über öffentliche Ehrungen und Auszeichnungen freuen.

Beteiligung der Jugendlichen

Bei der Weiterentwicklung der Jugendarbeit spielt ein Mitspracherecht der Kinder und Jugendlichen eine immer größere Rolle: „Die wollen beteiligt und ernst genommen werden“, sagt der Vorsitzende des Kreisjugendrings. „Und die Ehrenamtlichen fordern auch eine verstärkte Öffnung für Menschen mit Migrationshintergrund.“ Selbst organisierte Treffs, Buden und Räume stehen auf der Prioritätenliste ebenfalls ganz oben.

Neben der Online-Umfrage gab es auch eine Befragung von Bürgermeistern im Kreis, diese Ergebnisse befinden sich noch in der Auswertung. Alle Ergebnisse werden noch im diesem Sommer in regionalen Veranstaltungen weitergegeben. Am 20. November findet außerdem ein Fachtag zum Projekt statt. Am Ende des Jahres soll das Gesamtprojekt bewertet werden und zur Weiterentwicklung der Jugendarbeit im Kreis dienen.

Die Gemeinde Achstetten ist in ihrem Prozess bereits weit fortgeschritten: nach einer aktuellen Beschlussfassung im Gemeinderat soll eine 100-Prozent-Stelle für Schulsozialarbeit und offene Jugendarbeit eingerichtet werden. „Das ist für uns und das Projekt natürlich schon ein toller Erfolg“, freut sich Andreas Heinzel.

Stim­men aus dem Ju­gend­hil­fe­aus­schuss

Für Landrat Heiko Schmid ist dieses Projekt besonders wichtig: „Wir müssen wissen, was für Strukturen der Kreisjugendring braucht, um alle Bedarfe in Zukunft zu bewältigen.“ Dabei gehe es auch um die Einbindung der Flüchtlinge. Schmid verspricht, dass die Prozesse der vergangenen drei Jahre auch in Maßnahmen münden werden. „Wir werden das Projekt bewerten und es entsprechend in die Haushaltsberatungen mit einfließen lassen“, so der Landrat. „Da kommt einiges auf uns zu, das Projekt soll nicht einfach wieder in der Schublade verschwinden.“

Auch Franz Lemli (SPD) unterstützt dieses wichtige Thema: „Diese Umfrage war nötig und ist sehr aussagekräftig, sie verdient es, weiterverfolgt zu werden.“ Für ihn stellt sich abschließend die Frage, welche konkreten Maßnahmen der Kreis jetzt eingeht und wie diese Maßnahmen finanziert werden.

„Geld in unsere Jugendarbeit zu investieren, ist gut angelegtes Geld“, sagt Heinz Scheffold (CDU). „Junge Leute sollen auch so auf dem Land gehalten werden, das geht aber nur wenn es auch genügend Arbeitsplätze gibt.“

Für Johann Späh (Grüne) war die Onlinebefragung ebenfalls ein wichtiges Werkzeug: „Nur so können wir uns ein Bild der aktuellen Situation machen.“

Manfred Kalfass (Freie Wähler) berichtet, dass dieses Projekt im Gemeinderat Ochsenhausen großes Lob bekommen habe. „Wir sind froh, Teil dieses Projekts zu sein.“

Jugendpfarrer Matthias Ströhle bringt ein, dass es bestimmt schwierig werde, schulfreie Nachmittage zu beantragen, um den Kindern und Jugendlichen mehr Zeit für Vereinstätigkeiten zu schaffen: „Da müssen wir uns aber einfach mit den Direktoren, Schulträgern und Vereinen an einen Tisch setzen.“